Motorradkleidung selber nähen
Vorwort
Seit einigen Monaten hab ich nun endlich ein Motorrad (juchu!) und was liegt näher als sich die passende Kleidung dazu zu nähen (also, vor allem zu mir passend, weniger zum Bike ;) )? Denn fertige Sachen sind (gerechtfertigterweise) nicht nur teuer, sie sind auch nach Standardschnitten genäht. Und beim Motorradfahren ist eine gute Paßform eben auch sicherheitsrelevant. Die Freiheit, sich selber alles so zu gestalten wie es gefällt, ist ein unbezahlbarer Vorteil...Soviel kurz zur Motivation. Wichtigstes Kriterium ist dabei natürlich, daß die Kleidung im Falle des Falles wirklich schützt. Also die entsprechende Reiß- und Scheuerfestigkeit hat, usw.
Und zur allgemeinen Motivation, Schutzkleidung zu tragen, kann man sich mal dieses kleine Filmchen ansehen (rund 1 MB) und das, was dabei heraus kommt (original von hier...)Geplant ist, an dieser Stelle meine Erfahrungen mit der Eigenproduktion solcher Sicherheitskleidung zu schildern. Also schnitttechnische Details, Materialquellen, Verarbeitungstechniken. Es gibt ja doch vielleicht einige Leute, die auch mit dem Gedanken spielen, etwas in der Richtung selber zu machen ;).
Und nebenbei wird sich hier noch einiges zu Motorradkleidung allgemein ansammeln. Direktlink: www.motorrad.gewaenderwerk.deInhalt:
Materialien (Theorie und allgemeines Gelaber *g*)
u.a. näheres über
Anforderungen an Schnitt/Paßform (ein bischen Brainstorming)
Überlegungen zur Verarbeitung (dito)
Sonstiges (Ideen...) (s.o.)
Abriebtest (nicht besonders wissenschaftlich, aber doch in Grenzen aussagefähig)
In Planung/ Entstehung/ Vollendung ;) (voll konkret!)
Materialien
Immer wieder beliebtes Thema für Glaubenskriege und endlose Diskussionen: Leder oder Textil? Genau wie bei der "Beurteilung" von Motorrädern wird hier oft reichlich emotional und wenig objektiv argumentiert (wage ich mal zu behaupten ;) ) und so getan, als stehe die Entwicklung technischer Textilien noch auf der Stufe von vor 30 Jahren. Wie auch immer, es gibt Vor- und Nachteile auf beiden Seiten. Aber zuerst mal noch ein bischen Theorie (he he). Grundsätzlich wird zwischen passiver und aktiver Sicherheit unterschieden. Passive Schutzwirkung meint den klassischen Schutz im Falle des Sturzes, d.h. wenn schon alles zu spät ist ;) und nur noch der Schaden begrenzt werden kann: Absorption von kinetischer Energie bei Kollision/Aufprall und Schutz der Haut vor Abrieb bei der anschließenden Rutschpartie (auf Asphalt z.B.). Für den ersten part sind die Protektoren zuständig, für letzteren auch (zumindest in den Sturzzonen), aber vor allem sind auch die Materialeigenschaften der Kleidung ausschlaggebend. Ebenfalls nicht zu vernachlässigen ist die aktive Sicherheit. Also Faktoren, die einen Sturz/Unfall im Vorfeld verhindern, bzw. dessen Wahrscheinlichkeit reduzieren können. Dazu zählt der Tragekomfort der Kleidung, der sich auf die Konzentrationsfähigkeit des Fahrers/ der Fahrerin auswirkt. Kurz vor dem Hitzeschock wird niemand mehr wirklich entspannt und sicherheitsbewußt fahren. Auch wenn die Kleidung nur die Bewegungsfreiheit und den Komfort einschränkt, ist das der Fahrsicherheit nicht gerade förderlich... Daneben trägt z.B. auch reflektierende Kleidung zur aktiven Sicherheit bei. Daraus ergibt sich: Material für Motorradschutzkleidung muß vor allem abrieb- und reißfest sein. Weil sich bei extensivem Rumrutschen auf der Straße Reibungswärme entwickelt, ist auch eine gewisse Hitzebeständigkeit wichtig. Hier sind/waren anscheinend öfters Defizite auf Textilseite festzustellen. Kunststoffe geringerer bzw. ungeeigneter Qualität (namentlich: Polyester) schmelzen wohl gerne mal, wenn sie gerade gebraucht werden und hinterlassen unschöne Einbrennungen in der Haut, die einen längeren Heilungsprozeß nach sich ziehen. Das Dumme ist auch, daß man nicht ohne weiteres zwischen Polyester und Polyamid z.B. unterscheiden kann, wenn beide Materialien die gleiche Struktur haben. Man kann da nur auf Markenhersteller vertrauen ("you get what you pay for" ist in diesem Fall wohl richtig). Leder macht in Bezug auf passive Sicherheit kaum Probleme. Es wird vor allem Voll-Rindleder verwendet, das speziellen Qualitätsansprüchen genügen muß. Känguruhleder kann bei gleichen Beanspruchungswerten wesentlich dünner sein, weil dessen Fasern dichter und fester untereinander verbunden sind, es bietet also hohen Tragekomfort bei guter Schutzwirkung.Membrantest in "Motorrad, Reisen & Sport" (07.06.2004)
Kein anderes Element der Motorradfahrerbekleidung hat in den letzten Jahren einen solchen Aufschwung genommen wie die Klimamembran. Kaum noch eine Textiljacke oder -hose, kommt ohne Membran aus. Wahre Wunderdinge werden von Membranen erzählt - und erwartet. Du frierst nicht mehr, du schwitzt nicht mehr, du kannst die Regenkombi zu Hause lassen, der Fahrtwind kann dir nichts mehr anhaben. Alles prima Klima also. Tatsächlich kursieren über keinen anderen Baustein der Biker-Kluft so viele Halbwahrheiten, existieren so viele Bedienfehler, treten immer wieder Missverständnisse auf. Spätestens die Rekordtemperaturen des letzten Sommers förderten viele verdutzte Gesichter und durchgeschwitzte T-Shirts zutage. Wieso, weshalb, warum, das steht auf den nächsten Seiten. Es muss ein Temperaturgefälle von innen nach außen herrschen, damit sie funktionieren. Je deutlicher, umso besser. Das ist der Grund, warum sich viele Motorradfahrer im sonnigen Süden oder gerade im heißen Sommer wundern, wenn sie trotz Klimamembran im eigenen Saft schmoren. Allen positiven Eigenschaften zum Trotz ist eine Klimamembran keine Klimaanlage. Zehn Membranen stellten sich exemplarisch einer Untersuchung ihrer Funktionsfähigkeit in der Öffentlichen Prüfstelle am Deutschen Textilforschungszentrum Nord-West in Krefeld. Vier stammten aus der Fraktion der porenlosen (Sympatex, Premium Polo-Tex, Reissa, Venturi), vier waren mit einer mikroporösen Membran als Folie ausgestattet (Gore-Tex, Aerotex, Soltotex und Sheltex), zwei mit mikroporöser Membran als Beschichtung (Techpor und Drygate) und als Vergleich eine Lederjacke. Unter der Leitung von Dr. Rainer Benken und der Textillaborantin Gisela Fliegen lag das Hauptaugenmerk der Tests bei einer Wasserdampfdurchlässigkeitsprüfung - was gemeinhin als Atmungsaktivität bezeichnet wird - und in der Luftdurchlässigkeitsprüfung, sprich Winddichtigkeit. Diese beiden Parameter sind die entscheidenden, wenn es um die Beurteilung der Klimafunktion geht.Ergebnis:
Als Membran mit der höchsten Atmungsaktivität entpuppte sich Premium Polo-Tex mit einem Wert von 18,1 g/m2/h. Sie ließ also innerhalb von einer Stunde die meiste Flüssigkeit passieren, und zwar 18,1 Gramm pro Quadratmeter in der Stunde. Den zweitbesten Wert erreichte die mikroporöse Gore-Tex-Membran mit 15,6 g/m2/h, gefolgt von der wiederum porenlosen Sympatex mit 15,0 g/m2/h. Die mikroporösen Folien auf PU-Basis, Aerotex, Soltotex und Sheltex behaupten sich mit 13,3 und 13,2 sowie 13,1 g/m2/h im Mittelfeld, gefolgt von den als Beschichtung aufgetragenen Membranen Drygate (12,1 g/m2/h) und Techpor (11,5 g/m2/h). Die Schlusslichter bilden die porenlosen Venturi (10,8 g/m2/h) und Reissa (10,2 g/m2/h).In dem Bemühen, zumindest die Schichten als Funktionseinheit zu berücksichtigen, gibt es übrigens den sogenannten RET-Wert ('Resistance to Evaporating Heat Transfer', nach EN 31092), der stationär direkt am fertigen Kleidungsstück gemessen wird und keine bloße Aufaddierung einzelner Materialeigenschaften ist. Ein niedriger Wert bedeutet dabei eine bessere Atmungsaktivität.
Anforderungen an Schnitt/Paßform [und mögliche Lösungen]
Motorradkleidung muß vor allem in "Arbeitshaltung" gut passen, also im Sitzen auf dem bike. Darum macht es Sinn, Beine und Arme abgewinkelt vorzuformen [Abnäher oder durchgängige Nähte; (mind.)zweiteilige Ärmel], um Druckstellen durch aufgehäuften Stoff/ Leder zu vermeiden. Ausreichende Bewegungsfreiheit im Schulter- und Rückenbereich muß gegeben sein [flache Armkugel; evtl Stretcheinsätze unter dem Arm; Raglanärmel sind vielleicht gut geeignet]. Der Schnitt muß die Aufnahme von Protektoren berücksichtigen, darf dabei aber nicht zu weit sein, um deren Verrutschen zu verhindern. Es darf nicht ziehen (und nicht drücken ;) ), vor allem Hals- und Armabschlüsse sollten eng verschließbar sein [Klett- oder Reißverschlüsse; evtl. zusätzlicher abnehmbarer Kragen]. Eine Verbindung von Jacke und Hose wäre sinnvoll, um das Hochrutschen der Jacke bei einem Sturz und auch beim normalen Fahren zu verhindern [RV mit Stretchverbindung zu Jacke/Hose]. Bei Sachen für hohe Temperaturen sind Lüftungsmöglichkeiten wichtig [Netzeinsätze an wenig sturzgefährdeten Stellen, z.B. unter den Armen, auf der Brust; Lüftungs-RVs; feine Perforation bei Leder?; spezielle luftdurchlässige Materialien]Überlegungen zur Verarbeitung
Grundsätzlich gilt: so wenig Nähte wie möglich, gerade in sturzgefährdeten Bereichen, weil jede Naht eine Schwachstelle darstellt (zumindest Teilungsnähte... erstaunlich, mit wie vielen Teilungsnähten bei Textilkleidung gearbeitet wird...). Nähte sollten zusätzlich nochmal von oben abgesteppt sein (nennt sich anderswo "SAFE©-Sicherheits-Naht" *augenverdreh*). Garn: dickeres Polyester- oder Polyamidgarn, oder Kevlargarn für Kevlarstoff. Nähen lassen sich sämtliche mir bekannte Stoffe übrigens problemlos, auch locker 4-lagig, mit einer normalen Haushaltsnähmaschine. Sieht bei Leder wohl etwas anders aus, da stößt man schnell an Grenzen; einlagige Besätze dürften aber machbar sein. Dann aber möglichst keine Ledernadel nehmen, weil sie sich ins Leder "schneiden" und die Naht dadurch weniger belastbar wird. Große Stichlänge wählen, damit man das Leder nicht perforiert und so Sollbruchstellen einbaut.Sonstiges (Ideen...)
Reflektierende Materialien; (mindestens) gedoppelte Sturzzonen (Kevlar oder Leder); integrierter "Nierengurt" in Jacke; Kataloge von Bekleidungsherstellern liefern auch gute Anregungen für Details...Abriebtest
An den Stoffen die ich bis jetzt habe, hab ich mal einen kleinen Abriebtest gemacht. Der leuchtende Stoff (wegen Aufnahme mit Blitz) ist übrigens reflektierendes Cordura.Eindrucksvoll am widerstandsfähigsten war eindeutig Leder (Rindleder, speziell für Motorradbekleidung); wo Cordura und andere dünnere Stoffe schon hin sind, hat Leder nur einen Kratzer ;).
Unter den Textilien ist mit Abstand dieses beschichtete Kevlargewebe (KEVC; 41% PA, 33% Kevlar®, 18% PU, 8% EL; von Schöller) am robustesten, ist an der Abriebstelle ein bischen dünner geworden, aber noch lange nicht durchgescheuert. Der Stoff ist ziemlich dick (etwa 1 mm) und sogar leicht elastisch. Mit einer hautverträglichen, glatten Innenseite. Auch relativ steif, was aber in Bezug auf Flattern ja gar nicht so schlecht ist. Ist am ehesten mit Leder vergleichbar, aber nach meinem Gefühl nicht ganz gleichwertig, zumindest nicht in nur einlagiger Verwendung.
Positiv aufgefallen ist auch das Quattro Stretch Kevlar von einer finnischen Firma. Kein Gewebe, sondern ein Gewirk. Auch ziemlich dick mit kräftiger Stretchcharakteristik.
Der Test ist natürlich nur begrenzt aussagefähig. Kontaktfläche, und -zeit sowie Anpressdruck sind nur so Pi mal Daumen gewählt. Den Stoff hab ich nicht wirklich gleichmäßig angedrückt, sodaß das Material eher punktuell belastet wurde. Ist auch alles nicht sicher reproduzierbar. Aber im Groben sind die Belastungen meines Erachtens relativ realistisch, wobei Rutschzeit -geschwindigkeit für die meisten Stürze schon eher als zu hoch einzuordnen sind. Zumindest lassen sich die Materialien im Vergleich etwas einschätzen. Und man merkt, wie schnell selbst speziell darauf ausgelegte Textilien am Ende sind...In Planung/ Entstehung
Motorradhose (fertig) Sommermotorradhose (fertig)links
Stoffe/ online-shops
Shelby.fi finnischer Shop mit ausgefallenen Stoffen (außer Cordura und Membranen auch Kevlargewebe und andere Materialien diverser Markenhersteller) nebst Dokumentationen zur Verarbeitung und Forum (englischsprachig)Materialinformationen/-lexika
Textillexikonrund um´s nähen
Hobbyschneiderin.deAllgemeines zu Motorrad-Schutzkleidung
kleine Kleidungs-FAQSonstiges
Gene´s Motorradlexikon, von einer Instruktorin für Motorrad-Sicherheitstrainings; super geschrieben und sehr lesenswert! (und offensichtlich angelehnt an "Die obere Hälfte des Motorrads"